Nationalrat Andri Silberschmidt möchte dem Gesundheitswesen mit einem Digitalisierungsschub zu mehr Effizienz und Effektivität verhelfen. Im Interview erklärt er, warum die digitalen Kompetenzen des Gesundheitspersonals gestärkt werden sollten, dass es mehr Anstrengungen im Bereich Cyber Security braucht und weshalb er – richtig umgesetzte – digitale Lösungen für sicherer hält als analoge.
Herr Silberschmidt, Sie haben Ende 2021/Anfang 2022 im Nationalrat drei Motionen eingereicht, welche die Digitalisierung des Gesundheitswesens betreffen. Haben diese eine gemeinsame Zielsetzung?Die drei Motionen verfolgen das Ziel, in der Digitalisierung des Gesundheitswesens einen wichtigen Schritt vorwärtszukommen. Dazu braucht es ein virtuelles Schweizer Gesundheitsnetz, über welches alle involvierten Parteien der ambulanten und stationären Versorgungsbereiche ihre Dienstleistungen digital abwickeln können, einen eindeutigen Patientenidentifikator, über welchen alle Patienten identifiziert werden können und auch in den Aus- und Weiterbildungen verankerte digitale Wissensvermittlung, damit die Gesundheitsfachpersonen über die nötigen digitalen Kompetenzen verfügen, um die neuen Hilfsmittel optimal einsetzen zu können. Sie alle haben somit die gleiche Stossrichtung mit einem etwas anderen Fokus.
Viele Menschen kommen erst in fortgeschrittenem Alter stärker mit dem Gesundheitswesen in Berührung. Gab es bei Ihnen einen bestimmten Auslöser, sich als Politiker mit dem Gesundheitswesen zu befassen?Die Kosten im Gesundheitswesen nehmen stark zu. Für diesen Herbst wird ein Prämienschock von bis zu 10 Prozent erwartet. Das gibt mir auch als Prämienzahler zu denken. Um die finanzielle Belastung für uns PrämienzahlerInnen zu reduzieren, brauchen wir ein effizienteres und effektiveres Gesundheitswesen; die Digitalisierung kann hier einen wesentlichen Teil beitragen. Dieser Weg scheint mir vielversprechender zu sein als der Verteilkampf zwischen dem «Kuchenstück A» (z.B. der Pharma) und «Küchenstück B» (z.B. der Spitäler).Warum geht die Digitalisierung des Gesundheitswesens in der so fortschrittlichen und innovativen Schweiz so langsam voran?Der Handlungsdruck scheint noch zu gering zu sein. Oder anders formuliert: Wir können uns das Gesundheitswesen, so wie es heute ist, noch immer leisten. Zudem ist das Gesundheitswesen derart stark von verschiedenen Stellen reguliert, dass es kaum mehr einen Markt und Wettbewerb gibt. Aus diesem Grund braucht es auch länger für Innovationen.Viele Akteure – auch wir bei HIN – haben stets die Vorteile der Digitalisierung vor Augen. Welche Nachteile gehen mit einem digitalen Gesundheitswesen für die einzelne Bürgerin, den Arzt oder die Therapeutin einher?
Andri Silberschmidt
Der Unternehmer aus Zürich ist seit 2019 im Nationalrat und seit 2021 Vize-Präsident der FDP Schweiz. Er verfügt über einen Abschluss in Betriebsökonomie. Einige seiner politischen Schwerpunkte sind Digitalisierung, Bildung und Vorsorge.
Der Unternehmer aus Zürich ist seit 2019 im Nationalrat und seit 2021 Vize-Präsident der FDP Schweiz. Er verfügt über einen Abschluss in Betriebsökonomie. Einige seiner politischen Schwerpunkte sind Digitalisierung, Bildung und Vorsorge.
Wir müssen parallel zur Digitalisierung im Gesundheitswesen besondere Anstrengungen im Bereich der Cyber Security unternehmen. Ich bin aber überzeugt, dass gut geschützte digitale Räume sicherer sein können als der klassische Ordner mit der Krankenakte, der zu Hause oder beim Hausarzt rumliegt.
Sie wollen die Patientenadministration digitalisieren (Motion 21.4374). Was unterscheidet Ihren Ansatz von bestehenden Abläufen und Systemen?Bis jetzt fokussiert man sich in Bundesbern stark auf wie Weiterentwicklung des elektronischen Patientendossiers. Das ist nicht falsch, aber noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Mein Ansatz ist als ganzheitliche Fortführung beziehungsweise Weiterentwicklung der heutigen Bestrebungen gedacht und verfolgt das Ziel eines virtuellen Schweizer Gesundheitsnetzes. Dieses soll die Basis für die institutionsübergreifende Zusammenarbeit unter den Leistungserbringern bilden und die Zusammenwirkung mit den Versicherungen und Behörden vereinfachen.Sie möchten den Zugang zu Gesundheitsdaten für Statistik- und Forschungszwecke erleichtern (Motion 21.4373). Mit welchem Ziel und braucht es dafür einen neuen Patientenidentifikator (PID)?Die Möglichkeiten von Algorithmen, künstlicher Intelligenz, etc. in Kombination mit der menschlichen Innovationskraft sind beinahe unendlich. Ich bin davon überzeugt, dass das Potential dieser Möglichkeiten zusammen mit einem erleichterten Zugang zu Gesundheitsdaten enorm ist und unser Gesundheitssystem viel effizienter und effektiver machen können.« Das Ziel ist ein virtuelles Schweizer Gesundheitsnetz als Basis für die institutionsübergreifende Zusammenarbeit »
Ob es einen neuen PID braucht, oder ob bestehende Identifikatoren verwendet werden können, wird die Prüfung durch die ausführenden Akteure ergeben. Aufgrund der besonders schützenswerten Daten würde ich tendenziell keine bestehenden Nummern verwenden. Möglichst viele Daten sollen auch dezentral abgespeichert werden, um so weniger der Gefahr eines Datendiebstahls ausgeliefert zu sein.Der Nutzen von Gesundheitsdaten entsteht oft nicht dort, wo der Aufwand für die Datenerhebung anfällt. Welche Anreize können wir im Gesundheitssystem setzen, damit mehr Daten ausgetauscht und/oder zur Verfügung gestellt werden?Ich weiss nicht, ob es noch an der Zeit ist, über Anreize zu sprechen. Ich denke, der Nutzen der Digitalisierung und Daten ist in Fachkreisen mittlerweile unbestritten. Deshalb sollten wir mehr über die Umsetzung sprechen. Ich hätte nichts dagegen, wenn wir als Gesetzgeber von «analog first» auf «digital first» wechseln. Das heisst, dass Papier die Ausnahme sein soll und digital zur Regel würde.
Viele Menschen befürchten, dass ihre (Gesundheits-)Daten in digitaler Form nicht sicher sind oder von Dritten – zumal mit wirtschaftlichen Interessen – unrechtmässig genutzt werden könnten. Haben Sie Verständnis für solche Bedenken, und was müsste die Politik, was muss die (Gesundheits-)Wirtschaft tun, um deren Vertrauen zu gewinnen?Ich habe grosses Verständnis für solche (nicht unbegründeten – siehe meineimpfungen.ch) Bedenken. Deshalb ist es wichtig, dass die Politik Rahmenbedingungen mit einem hohen Mass an Sicherheit beschliesst (security by design). Nur so kann es gelingen, das nötige Vertrauen aufzubauen und Technologien zum Durchbruch zu verhelfen. Ich bin überzeugt, dass wenn etwas «richtig» digitalisiert wurde, dieses sicherer ist als die analoge Welt von heute.Sie möchten die digitalen Kompetenzen von Gesundheitsfachpersonen verbessern (Motion 22.3163). Wie stellen Sie sich die konkrete Umsetzung vor?Es gibt verschiedene Erlasse, wo der Bundesrat heute die Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsfachpersonen regelt. Darin soll der Bundesrat verankern, dass die digitalen Kompetenzen ebenfalls gestärkt werden sollen. Am Schluss sind es die Menschen im Gesundheitswesen, welche den Unterschied ausmachen. Sie sollen die digitalen Instrumente bereits in der Aus- und Weiterbildung ausreichend kennenlernen.Sowohl an Gesundheitspersonal als auch an IT-Spezialisten herrscht auf dem Arbeitsmarkt ein Mangel. Würde sich dieses Problem durch höhere Anforderungen (wozu zusätzliche digitale Kompetenzen zählen) nicht noch verschärfen?Der Arbeitskräftemangel darf keine Ausrede sein, um die dringend nötige Digitalisierung auf die lange Bank zu schieben. Im Gegenteil: Die Digitalisierung kann dazu beitragen, dass die beschränkte Anzahl an zur Verfügung stehenden Arbeitskräften entlastet werden und effektiver eingesetzt werden können.Digitale Systeme haben Schwachstellen, eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Müssen wir mit möglichem Verlust und Kompromittierung unserer Daten leben lernen?Auch heute besteht die Möglichkeit, dass beispielsweise Patientendossiers verloren gehen, einem Brand oder einem Wasserschaden zum Opfer fallen. Man kann mit einer schlauen Regulierung aber ein hohes Mass an Sicherheit im digitalen Raum sicherstellen. Es beginnt bei einer Mehrfach-Authentifizierung beim Login-Prozess und hört bei einer möglichst dezentralen Datenspeicherung auf.« Nur mit ‹security by design› kann es gelingen, Vertrauen aufzubauen und Technologien zum Durchbruch zu verhelfen. »