In der Schweiz unternehmen pro Jahr ungefähr 33’000 Menschen einen Suizidversuch. ASSIP Home Treatment bietet Unterstützung in der Zeit danach und vermittelt Strategien, um suizidale Krisen eigenständig zu bewältigen. Im Interview stellt Dr. phil. Anja Gysin Maillart das Projekt vor und erklärt, wieso HIN ein wichtiger Partner in puncto Datenschutz ist.
HIN: Frau Gysin Maillart, können Sie uns das Projekt ASSIP Home Treatment kurz erklären?Dr. phil. Anja Gysin Maillart: Jährlich sterben in der Schweiz etwa 1’000 Menschen durch Suizid und ungefähr 200’000 Personen geben an, in ihrem Leben mindestens einen Suizidversuch unternommen zu haben. Ein Suizidversuch ist ein wichtiger Vorhersagefaktor für einen späteren Suizid. «ASSIP» steht für Attempted Suicide Short Intervention. Es ist eine effektive Kurztherapie für Menschen nach Suizidversuchen. Das Projekt ASSIP Home Treatment bietet diese Therapie in einem sehr niederschwelligen und für die Patienten vertrauten Setting an. Es wird von der Gesundheitsförderung Schweiz gefördert und ist in den Kantonen Bern, Zürich, Neuenburg und Waadt aktiv. Ziel ist es, gefährdete Personen besser identifizieren und gezielt behandeln zu können.Welche weiteren Ziele verfolgt ASSIP Home Treatment?ASSIP Home Treatment zielt darauf ab, Suizidversuche und Rehospitalisierungen durch ein mobiles Angebot zu reduzieren und vulnerable Personen zu erreichen. Wir möchten ein spezifisches Angebot für Menschen in suizidalen Krisen schaffen, die sonst keinen oder nur wenig Zugang zum Hilfesystem haben. Den Patienten möchten wir Strategien vermitteln, um suizidale Krisen eigenständig zu bewältigen und ihre psychische Gesundheit langfristig zu verbessern. Zudem sollen verlässliche Beziehungen zwischen Fachpersonen und Patientinnen aufgebaut und die Versorgungslücke zwischen stationärer und ambulanter Versorgung geschlossen werden. Ein weiteres Ziel von ASSIP Home Treatment ist es, Gesundheitsfachpersonen durch Weiterbildungsangebote zu schulen und mit dem Angebot vertraut zu machen. Dies soll die Verbreitung des Angebots fördern und somit die Wirksamkeit von suizidpräventiven Behandlungen verbessern.
Dr. phil. Anja Gysin Maillart ist Projektleiterin ASSIP Home Treatment und Mit-Urheberin der ASSIP Kurztherapie.
«Wir möchten ein Angebot für Menschen in suizidalen Krisen schaffen, die sonst keinen oder nur wenig Zugang zum Hilfesystem haben.»
ASSIP Home Treatment kommt also nach einem Suizidversuch zum Tragen. Wie wird Betroffenen denn normalerweise geholfen, also ohne ASSIP?Die Standardbehandlung nach Suizidversuchen umfasst in der Regel drei Interventionsbereiche: Die Notfallbehandlung, die medizinische Versorgung und die Krisenintervention. Obwohl diese drei Interventionsbereiche wichtig sind, ist eine spezifische und effektive Nachsorge nach Suizidversuchen unbedingt notwendig, um Suizide längerfristig zu verhindern. Suizid-spezifische Behandlungsangebote sind leider noch nicht Teil der Standardversorgung nach Suizidversuchen.
ASSIP Home Treatment verspricht einen grossen Erfolg, da es in seiner Einfachheit viele Menschen erreichen kann und die Versorgungslücke zwischen ambulanter und stationärer Behandlung schliesst.Wie kann man sich eine Therapie mit ASSIP Home Treatment ungefähr vorstellen?Patienten werden uns entweder von Gesundheitsfachpersonen zugewiesen oder sie melden sich selber an. In der ersten Sitzung wird ein narratives Interview über die Hintergründe des Suizidversuchs gemacht, welches auf Video aufgezeichnet wird. In der zweiten Sitzung wird das aufgezeichnete Interview zusammen mit den Patientinnen angeschaut. Dabei werden biographische Hintergründe und Abläufe der suizidalen Krise vertieft bearbeitet sowie persönliche Warnzeichen, die einer suizidalen Krise vorausgehen, gemeinsam mit dem Therapeuten oder der Therapeutin geklärt. Ein individueller Krisenplan wird erarbeitet.Wie viele Sitzungen sind vorgesehen?Die Kurzintervention besteht aus drei bis vier Sitzungen, die darauf abzielen, die Ressourcen der Patienten zu stärken und individuelle Bewältigungsstrategien zu fördern. In der dritten Sitzung wird die Fallkonzeption des suizidalen Verhaltens besprochen. Dabei werden die Hintergründe der suizidalen Krise, Strategien, längerfristige Therapieziele sowie ein ganz persönlicher Krisenplan im Falle von suizidalem Risiko gemeinsam überarbeitet und anschliessend schriftlich den Patientinnen übergeben. Dies geschieht in Form einer Fallkonzeption und eines Leporellos. In der vierten Sitzung, welche fakultativ ist, wird eine Mini-Exposition durchgeführt. Dabei werden gemeinsam mit den Patientinnen erlernte Strategien eingeübt.
Und danach?Anschliessend gibt es eine briefliche Kontaktaufnahme alle drei bzw. sechs Monate für mindestens zwei Jahre. Dabei sollen die Patienten an die eigenen Strategien erinnert werden, einen einfachen Zugang zum Helfersystem bekommen und eine anhaltende therapeutische Beziehung angeboten bekommen.Wie viele Personen arbeiten bei ASSIP mit?Die Kurztherapie ASSIP wird in verschiedenen Kantonen wie beispielsweise Bern, Zürich, Waadt und dem Tessin, in unterschiedlichen Settings, namentlich ambulant, stationär und teilstationär, angeboten. Im ASSIP Home Treatment Projekt haben wir pro Kanton – aktuell Bern, Zürich, Waadt und Neuenburg – jeweils ein bis zwei Therapeuten, welche die Behandlung zu Hause anbieten.Im Zusammenhang mit psychischen Problemen fallen sehr sensible Gesundheitsdaten an. Wie stellen Sie sicher, dass dem Datenschutz jederzeit Rechnung getragen wird?Wir legen grossen Wert auf einen sorgfältigen Umgang mit den Daten unserer Patienten. Denn auch für Patientinnen ist es meist wichtig zu wissen, dass die Mailkontakte sowie die Behandlung vertraulich sind und niemand Drittes mitlesen kann. Patientendaten erfassen und kommunizieren wir ausschliesslich innerhalb der geschützten Server der Universitären Psychiatrischen Diensten Bern (UPD) und auch unsere elektronischen Akten sind in einem Datenverwaltungssystem der UPD Bern hinterlegt, das für das Login eine passwortgeschützte Identifizierung benötigt. Für die Kommunikation via E-Mail nutzen wir HIN.«ASSIP Home Treatment zielt darauf ab, die Ressourcen der Patienten zu stärken und individuelle Bewältigungsstrategien zu fördern.»
Können Sie Beispiele für den Gebrauch von HIN Mail nennen?Wir nutzen HIN zur datenschutzkonformen Kommunikation mit externen Ansprechpersonen. Eine wichtige Anwendung – und ausschlaggebend für unsere Entscheidung für HIN – ist das integrierte Anmeldeformular auf unserer Webseite. Anmeldungen über die Webseite treffen somit verschlüsselt und datenschutzkonform via HIN Mail bei uns ein.Wie tauschen Sie sich denn innerhalb des Teams über Patienten und deren Behandlung aus?Für den internen Austausch verwenden wir die Klinik-internen E-Mails, welche über einen geschützten Server laufen. Und Supervisionen finden innerhalb des universitären Kliniksystems statt.Schulen Sie auch Ihre Mitarbeitenden in Bezug auf den Datenschutz?Ja, das tun wir. Alle unsere Mitarbeitenden müssen eine Datenschutzerklärung unterschreiben, womit sie bestätigen, dass sie einen korrekten Umgang mit sensiblen Personendaten kennen und diesen auch umsetzen. Der Datenschutz der UPD Bern unterliegt genauso wie das Projekt ASSIP Home Treatment den Datenschutzbestimmungen der schweizerischen Datenschutzgesetzgebung. Bei ihrer Einführung werden neue Mitarbeitende in die Richtlinien zum internen Datenschutz eingeführt.«Anmeldungen über unsere Webseite treffen verschlüsselt und datenschutzkonform via HIN Mail bei uns ein.»