«Für Sicherheit muss auch in der digitalen Welt immer Zeit sein»

[:de]Thomas Sauter, Stiftungsprofessor für Telenotfallmedizin © Pascal Triponez[:fr]Thomas Sauter, professeur assistant en télémédecine d’urgence. © Pascal Triponez[:]

Pandemiebedingt rücken E-Health und Telemedizin verstärkt in den Fokus. Dabei sind Apps, digitale Entscheidungshilfen, Virtual Reality und künstliche Intelligenz längst in der medizinischen Praxis angekommen. Wo geht die Reise hin, und welche Rolle spielen dabei Datenschutz und -sicherheit? Das und mehr habe ich Thomas Sauter gefragt. Er ist Professor für Telenotfallmedizin am Universitären Notfallzentrum des Inselspitals, Universitätsspital Bern.

 

HIN: Herr Prof. Sauter, die Corona-Pandemie verleiht auch der Telemedizin Schub. Ist das ein krisenbedingter Hype oder sehen wir hier schon die neue Normalität?

Thomas Sauter: Die Coronapandemie hat die digitale Transformation in allen Bereichen der Gesellschaft beschleunigt. Welche digitalen Hilfsmittel und Anwendungen nur eine Krisennotlösung waren und welche wir in Zukunft beibehalten werden, wird sich erst in nächster Zeit zeigen. Es ist eine der Aufgaben und Ziele der Telenotfallmedizin am Inselspital und der Universität Bern, diesen Prozess von akademischer Seite zu begleiten.

 

Veranstaltungshinweis:

2. Schweizer Kongress für Telenotfallmedizin und Digital Health
Donnerstag, 29. April 2021 (Virtueller Kongress)
Weitere Informationen und Anmeldung: www.telenotfallmedizin.ch

Das Gesundheitswesen gilt als Branche mit Digitalisierungsrückstand. Wo stehen wir aktuell und was bedeutet das für die Aus- und Weiterbildung der Gesundheitsfachpersonen?

Aus meiner Sicht gibt es im Bereich der Medizin einige Felder, die bezüglich der digitalen Möglichkeiten noch Nachholbedarf haben. Beispiele sind etwa die oft noch fehlende digitale Krankengeschichte, die einen Austausch zwischen Kollegen und Spezialisten erschwert, und das Fax-Gerät, das leider noch viel zu oft verwendet wird. In anderen Bereichen, wie zum Beispiel bei digitalen Entscheidungshilfen, Wearables und in den bildgebenden Disziplinen, nutzen wir im Alltag schon viele digitale Tools. Hier ist es wichtig, dass das Personal im Gesundheitswesen hierfür ausgebildet wird. Deshalb haben wir an der Universität Bern für die Medizinstudierenden Unterricht in Digitaler Kompetenz eingeführt.

 

Für den Behandlungserfolg ist das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Patient/in und Ärztin/Arzt nicht unwesentlich. Welche Faktoren schaffen aus Ihrer Sicht Vertrauen in Telemedizin und E-Health?

Damit eine Behandlung mit digitalen Hilfsmitteln zu einem Erfolg wird, spielen Faktoren wie Vertrauen, Empathie und Intuition eine grosse Rolle. Diese können auf absehbare Zeit auch nicht durch Technik ersetzt werden. In einer Studie über digitale Entscheidungshilfen in der Corona-Pandemie konnten wir zeigen, dass Menschen unseren Empfehlungen folgten, weil sie dem Inselspital vertrauen. Das Thema Arzt-Patienten-Verhältnis im digitalen Zeitalter wird sowohl in unserem digitalen Curriculum unterrichtet als auch von uns beforscht.

 

«Digitale Notfallmedizin. Von Apps, digitalen Entscheidungshilfen über Virtual Reality zur künstlichen Intelligenz…» Vortrag von Thomas Sauter am 7. Symposium Retten & Lernen vom 27. November 2020.

In der Notfall- und Akutmedizin ist Zeit ein entscheidender Faktor. Die hohen Anforderungen an Datenschutz und -sicherheit im Gesundheitswesen können Abläufe jedoch verlangsamen. Gibt es Strategien, um diesen Gegensatz zu überwinden?

Ich verstehe, dass der Eindruck eines Gegensatzes entstehen könnte, aber in der Notfallmedizin muss für Sicherheitsmassnahmen zum Schutz des Patienten und auch zum Eigenschutz des medizinischen Personals in der digitalen wie auch in der realen Welt immer Zeit sein. Es sollte in der digitalen Welt jederzeit darauf geachtet werden, dass nur für die Funktion nötige Daten gesammelt werden. Mit diesem Prinzip der Datensparsamkeit kann das Risiko so gering wie möglich gehalten werden.

 

 

Schauen wir etwas in die Kristallkugel. Ist es denkbar, dass Sie oder Ihre KollegInnen Ihren Job dereinst im Homeoffice werden machen können, während Roboter Sie mit künstlichen Augen und Händen entlang der «Rettungskette» vertreten?

Das Feld der digitalen Möglichkeiten ist in einem schnellen Wandel und bringt neue Technologien und Entwicklungen hervor, die oft nicht vorhergesehen werden können. Bei dem aktuellen Stand der Technik ist ein vollständiges Ersetzen des menschlichen Notfallmediziners durch z.B. Roboter, wie Sie es beschreiben, nicht in Sicht, sondern der Fokus liegt auf der optimalen Unterstützung bei seinen Tätigkeiten, wie der Diagnosestellung und Behandlung. Das kann z.B. durch eine Ausbildung von gefährlichen besonderen Situationen mit der Unterstützung von Virtual Reality Simulationen, der telemetrischen Unterstützung oder Video/Ton-Konsultationen auch in der Präklinik erfolgen oder durch digitale Entscheidungshilfen entlang der ganzen Rettungskette.

 

Über Thomas Sauter

Prof. Dr. med. Thomas C. Sauter, MME, ist Leiter Bildung, eHealth und Telenotfallmedizin am Universitären Notfallzentrum des Inselspitals, Universitätsspital Bern. Er beschäftigt sich seit Jahren sowohl wissenschaftlich als auch in der praktischen Anwendung mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung der Notfallmedizin.  Seine Interessensschwerpunkte dabei sind insbesondere Innovationen in telemedizinischen Anwendungen, digitale Triage und Entscheidungshilfen sowie die Anwendungen und Vermittlung von digitalen Hilfsmitteln und Inhalten in Aus- und Weiterbildung.

Bild: Thomas Sauter, Stiftungsprofessor für Telenotfallmedizin, vor dem Eingang des Universitären Notfallzentrums (UNZ) am Inselspital, Universitätsspital Bern. © Pascal Triponez